Sie befinden sich hier:
16.09.2018

Streit um Grundsicherung

Menschen, die mindestens 18 Jahre alt und im Eingangs- oder Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt waren, hatten einen Anspruch auf Grundsicherung bei Erwerbsminderung, zumindest bis zum 30.6.2017.
Am 1.7.2017 wurde im Rahmen des „Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch“ der Punkt 3 in den § 45 SGB XII eingefügt. Danach erfolgt eine Prüfung über die volle Erwerbsminderung nicht, wenn „…Personen in einer Werkstatt für behinderte Menschen den Eingangs- und Berufsbildungsbereich durchlaufen oder im Arbeitsbereich beschäftigt sind…“

Die Auffassung der Sozialhilfeträger ist seitdem: da die Dauerhaftigkeit einer vollen Erwerbsminderung erst nach Beendigung des Berufsbildungsbereichs festgestellt werden könne, erfolge für Menschen mit Behinderung im Eingangs- und Berufsbildungs- und Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) kein Ersuchen an einen Rentenversicherungsträger auf gutachterliche Feststellung der Dauerhaftigkeit einer vollen Erwerbsminderung.

Das bedeutet, dass Menschen im Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen seitdem unter Umständen nur mit dem Werkstatt-Entgelt auskommen müssen, in den meisten Fällen weniger als 100 Euro im Monat.

Nun hat das Sozialgericht Detmold entschieden, dass die Rechtsauffassung der Sozialhilfeträger nicht haltbar ist (Urteil vom 14. August 2018, Aktenzeichen: S 2 SO 15/18).
Die Auslegung des Sozialhilfeträgers, im Falle des § 45 S. 3 Nr. 3 SGB XII bestehe eine Situation, in der eine volle Erwerbsminderung nicht festgestellt werden könne, da die Sozialbehörde nicht selbst prüfen und auch kein Ersuchen an den Rententräger richten dürfe, aber gar nicht feststehe, ob dauerhaft volle Erwerbsminderung vorliege, geht zur Überzeugung des Gerichts fehl. Nähme man den reinen Wortlaut des § 45 Satz 3 SGB XII, so würde lediglich das Ersuchen entbehrlich. Dann müsste aber die Sozialbehörde selbst die volle Erwerbsminderung auf Dauer prüfen, da dann lediglich die Zuständigkeitsverschiebung aufgehoben worden wäre.

Bei systematischer Auslegung ist jedoch deutlich zu erkennen, dass der Gesetzgeber in den genannten Fällen keine weitere Prüfung mehr wünscht, sondern die volle Erwerbsminderung auf Dauer unterstellt.

So wird vom Gesetzgeber bei der Nr. 3 genauso wie bei den Nr. 1 und 2 und 4 des § 45 S. 3 SGB XII die volle Erwerbsminderung unterstellt. Denn bei einem schwerbehinderten Menschen, der in den Eingangs- oder Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen aufgenommen worden ist, ist bereits davon auszugehen, dass dieser dauerhaft voll erwerbsgemindert ist. Die Werkstatt für behinderte Menschen ist ein geschützter Bereich für die behinderten Menschen, der nicht zum allgemeinen Arbeitsmarkt gehört.

Ähnlich äußerten sich zuvor schon das Sozialgericht Augsburg, das Sozialgericht Gießen und das Landessozialgericht Hessen.

Die Lebenshilfe schreibt dazu: „Die Rechtsauffassung des BMAS, der sich die Sozialämter anschließen, halten die Bundesvereinigung Lebenshilfe und andere Fachverbände für falsch. Wir gehen davon aus, dass die dauerhafte und volle Erwerbsminderung bei Menschen im Eingangs- und Berufsbildungsbereich von Werkstätten vorliegt. Sie muss nicht erst durch eine Begutachtung festgestellt werden.“

Es sollte diesbezüglich bald eine gesetzliche Klarstellung erfolgen.

Quelle: Lebenshilfe

Abbildung: Fotolia_118195902_Subscription_XL.jpg